Balearen: Die vermeintliche Zwangsenteignung von Wohnungseigentum

Veröffentlicht am 20.04.2021

Das Recht auf eine würdige und angemessene Wohnung ist als Grundrecht und Leitlinie der spanischen Wirtschafts- und Sozialpolitik ausdrücklich in Artikel 47 der spanischen Verfassung verankert. Ein Grundsatz, der sich bezüglich der Balearen in den Artikeln 12.3 und 22 des Autonomiestatuts der Balearischen Inseln wiederfindet. Die Schaffung der notwendigen Grundlagen zur Sicherstellung der tatsächlichen Wirksamkeit dieses Rechtes obliegt hierbei der öffentlichen Verwaltung im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten.

Die aktuelle Lage des Immobilienmarktes auf den Balearen

Der Wohnungsmarkt befindet sich bereits seit einigen Jahren in einer schwierigen Situation, ein Umstand, der bekannt ist und die Bewohner der Balearen somit nicht überraschen sollte. Diese Situation beruht größtenteils auf der Veränderung der Besitzstruktur auf dem Wohnungsmarkt, da lediglich 65,9 % der Wohnungen als Eigentumswohnungen gehalten werden, was im gesamtspanischen Vergleich den zweitniedrigsten Anteil bedeutet. Diese Strukturveränderung hat dazu geführt, dass sich der Anteil der in Mietwohnungen lebenden Bevölkerung im Zeitraum 2014 bis 2018 um 20% erhöhte und somit über dem gesamtspanischen Durchschnitt liegt.

Erschwerend kommt die generelle Wohnungsknappheit hinzu, die den stetig steigenden Bedarf an Wohnraum nicht befriedigen kann und insbesondere bei Mietwohnungen zu einem signifikanten Preisanstieg geführt hat. Während im Rest Spaniens der Quadratmeterpreis für Mietwohnungen zwischen 2014 und 2018 um 24,6 % angestiegen ist, verzeichneten die Balearen einen Anstieg um 38,6 %.

Diese schwierigen Rahmenbedingungen machen deutlich, dass außerordentliche Maßnahmen der öffentlichen Hand vonnöten sind, um dem rapiden Anstieg der Nachfrage schnell zu begegnen und das Recht auf eine würdige Wohnung sicherzustellen.

Hierzu zählt der Beschluss des Ministeriums für Mobilität und Wohnraum der Balearen vom 2. März 2021, auf dessen Grundlage ein Verfahren zur Abtretung der Nutzung von 56 leerstehenden Wohnungen in mehreren Gemeinden auf den Inseln Mallorca, Menorca und Ibiza für einen Zeitraum von sieben Jahren eingeleitet wurde, und der bereits kurz nach seiner Veröffentlichung im offiziellen Amtsblatt der Balearen Inseln (BOIB) am 4. März 2021 zu hitzigen Diskussionen im Immobiliensektor und unter Juristen geführt hat.

Für ein korrektes Verständnis des genannten Beschlusses ist zunächst eine – zumindest kurze – Erläuterung und Einbettung in den geltenden rechtlichen Rahmen erforderlich.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Das Wohnraumgesetz der Balearen (Gesetz 5/2018 vom 19. Juni) sieht in seiner aktuellen Fassung (auf Grundlage des Gesetzesdekretes 3/2020 vom 28. Februar) in den Artikeln 36.3 und 42 die zwangsweise Entziehung der vorübergehenden Nutzung, also nicht des Eigentums an sich, von solchen Wohnungen als außerordentliche Maßnahme vor, die sog. Großbesitzern bzw. Großvermietern (grandes tenedores) gehören. Diese Maßnahme soll der Erfüllung der Sozialfunktion dienen, auf die im gesamten Gesetzestext als grundlegendes Prinzip für Wohnraumpolitik immer wieder Bezug genommen wird. Die genannte Sozialfunktion gilt hierbei als nicht erfüllt, wenn eine Wohnung ohne Grund für mehr als zwei Jahre nicht bewohnt ist.

Abtretung der vorübergehenden Nutzung von Wohnungen im Eigentum von Großvermietern

Die Umsetzung einer derart außergewöhnliche Maßnahme setzt das Vorliegen der gesetzlichen Vorgaben voraus, wobei zunächst der Begriff des Großvermieters abzugrenzen ist.

Unter diesen Begriff fallen nur diejenigen natürlichen oder juristischen Personen, die unmittelbar oder mittelbar mindestens 10 Wohnungen im Eigentum halten oder aufgrund von Miete, Nießbrauch oder jedem anderen Recht, das eine Nutzungsabtretung gestattet, verfügen und einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Zusammenhang, u.a. Immobilienentwicklung, Investitionen, Kauf und Vermietung, nachgehen. Alle anderen natürlichen und juristischen Personen werden folglich nicht von der Regelung erfasst.

Weiterhin muss nachgewiesen werden, dass die Wohnung, deren Nutzung entzogen werden soll, während eines Zeitraums von über zwei Jahren nicht bewohnt wurde und im Register für unbewohnte Wohnungen (Registro de viviendas desocupadas) eingetragen ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein ausreichendes soziales Interesse gegeben ist, um die Nutzung vorübergehend zwangsweise zu entziehen, sofern auch die objektiven Bedingungen von Artikel 42 des Wohnraumgesetzes gegeben sind. Der Betroffene einer solchen zwangsweisen Entziehung ist zum Bezug einer gerechten Ausgleichszahlung berechtigt, die auch höher liegen kann als die Wohnungsmiete, die ein Mieter dieser Wohnung zahlen würde, und die sich nach den gesetzlichen Bestimmungen auf nationaler Ebene bezüglich Zwangsenteignungen berechnet.

Hervorzuheben ist jedenfalls, dass es sich bei diesen Fällen um die Abtretung einer vorübergehenden Nutzung handelt, die sich im Rahmen der Mindestlaufzeit für Mietverhältnisse über die gewöhnliche Wohnung bewegt. Diese Mindestlaufzeit beträgt nach der letzten Änderung des spanischen Mietgesetzes (Gesetz 29/1994 vom 24. November) 5 Jahre, wenn es sich beim Vermieter um eine natürliche Person handelt, sowie 7 Jahre, wenn der Vermieter eine juristische Person ist, wobei die Mindestlaufzeit im gemeinsamen Einverständnis der Parteien auch verlängert werden kann. Während der Dauer der Abtretung übernimmt die Balearische Wohnungsbehörde (Instituto Balear de la Vivienda – IBAVI) die Verwaltung der entzogenen Wohnungen. Mit dem Ende der Abtretungsvereinbarung werden diese in demselben Zustand, den sie im Zeitpunkt der Entziehung aufwiesen, an den Großvermieter zurückgegeben.

Ist eine so weitgehende Maßnahme tatsächlich notwendig?

Zwar ist aus Sicht des Ministeriums für Mobilität und Wohnraum der Balearen die objektive, dringende und unaufschiebbare Notwendigkeit dieser Maßnahme sowie die Erfüllung aller diesbezüglichen gesetzlichen Voraussetzungen ausreichend belegt, dies konnte jedoch nicht verhindern, dass unmittelbar im Anschluss an die Veröffentlichung des Beschlusses im BOIB zahlreiche Fragen zum rechtlichen Umfang der Anwendung dieser Norm aufgeworfen wurden.

Die Immobilienbranche hält die schwierige Lage auf dem Wohnungsmarkt z.B. für eine Folge der nicht ausreichenden bzw. sogar gänzlich fehlenden Politik der Sozialfürsorge seitens der Regierung. Andere Stimmen fürchten die Rechtsunsicherheit und Ungewissheit, die diese Maßnahme mit sich bringt und Immobilieninvestoren abschrecken könnte. Wieder andere verstehen die Maßnahme sogar als Angriff auf das Grundrecht auf Privateigentum nach Artikel 33 der spanischen Verfassung.

Die Zeichen stehen in jedem Fall auf Sturm, so dass abgewartet werden muss, wie die betroffenen Interessengruppen reagieren. Eine Reaktion, die jedoch sicherlich nicht lange auf sich warten lassen wird.