Kontext und Ziele
Veröffentlicht im spanischen Staatsanzeiger vom 3. Januar 2025 und 3 Monate später am 3. April in Kraft getreten. Es handelt sich um einen weiteren Baustein der Modernisierung und Straffung des spanischen Justizwesens. Während das im März des vergangenen Jahres in Kraft getretene erste Reformgesetz den Schwerpunkt auf die Digitalisierung der Verfahren legte, liegt dieser in der jetzt in Kraft getretenen Neuregelung nun in der Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung und Optimierung der Gerichts-organisation. Hierzu wurden mehr als 80 Artikel des Gerichtsverfassungs- und Zivilprozessgesetzes geändert.
Ursprünglich beabsichtigt war auch in die Reform die Umsetzung der EU-Richtlinie über Verbandsklagen einzubeziehen, die bis zum 25. Dezember 2022 hätte erfolgen müssen. Dies ist aber nicht gelungen und wird Gegenstand des nächsten Reformgesetzes sein.
Der Gesetzgeber versucht mit der Reform auch dem weit verbreiteten Vertrauensverlust in das spanische Justizsystem Rechnung zu tragen.
Reform der Gerichtsorganisation
Die bislang mit einem Einzelrichter besetzten Gerichte Erster Instanz werden durch ein neues Kollegialgericht ersetzt, das Rechtsstreitigkeiten in erster Instanz entscheidet.
Das Instanzgericht verfügt im jeweiligen Gerichtsbezirk grundsätzlich über eine getrennte Zivil- und Strafsektion und diversen weiteren Abteilungen für Familien-, Handels-, häusliche Gewalt-, Straf-, Verwaltungs-, Arbeitssachen.
Für bestimmte Bereiche in Straf-, Strafvollzugs- und Verwaltungssachen wird ein Zentralgericht erster Instanz mit Sitz in Madrid und Zuständigkeit für Gesamtspanien eingerichtet.
Friedensgerichte existieren auf Gemeindeebene dort, wo keine Instanzgerichte eingerichtet sind. Sie waren bislang ausschließlich für Zustellungen und die Entscheidung von Kleinstfällen zuständig. An den Friedensgerichten werden nun auch „Justizbüros“ eingerichtet, die insbesondere dazu dienen werden, Prozesshandlungen vor Ort durchführen zu können, ohne vor den entfernt liegenden Instanzgerichten erscheinen zu müssen.
Im Zusammenhang mit dem Gerichts- und Richterwesen ist auch anzumerken, dass die spanische Regierung vor weniger als einer Woche eine weitere Reform über die Richterausbildung auf den Weg gebracht hat.
Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung (Medios Adecuados de Solución de Controversias = MASC)
Die für die Praxis wichtigste und einschneidendste Neuerung besteht in der obligatorischen Durchführung eines Mediationsverfahrens, privaten Güteverfahrens, das auch vor einem Notar, Grundbuchrichter oder Rechtspfleger geführt werden kann oder Abgabe eines verbindlichen vertraulichen Vergleichsangebots („oferta vinculante“). Die Durchführung der vorgenannten Verfahren oder Abgabe eines dem Gesetz entsprechenden Vergleichsangebots ist Voraussetzung für die förmliche Zulassung einer zivil- oder handelsrechtlichen Klage zum Verfahren und betrifft deshalb auch Klagen in Vertriebssachen.
Der Gesetzgeber unterstellt, dass nicht bereits vor Klageerhebung sämtliche außergerichtlichen Streitbeilegungsbemühungen ausgeschöpft wurden. In der noch sehr kurzen Praxis wird nicht der Weg über ein ggfs. langwieriges Mediations- oder Güteverfahren gesucht, sondern der theoretisch schnellere eines verbindlichen Vergleichsangebots, dass den Charakter eines modifizierten anwaltlichen Aufforderungsschreibens hat, auch wenn dessen Wirkungen wesentlich weitergehend sind.
Erfolgt innerhalb einer Frist von 30 Tagen keine Antwort auf die Einleitung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens oder eines verbindlichen Vergleichsangebots, ist die Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage erfüllt. In der Klageschrift ist die erfolglose Durchführung des außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens bzw. Zustellung des Vergleichsangebots nachzuweisen, aber nicht dessen Inhalt, der zwingend vertraulichen Charakter hat.
Nur im Falle des verbindlichen vertraulichen Vergleichsangebots existiert Anwaltszwang.
Mit der Einladung zur Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens oder Zustellung eines Vergleichsangebotes werden sowohl Verjährungs- wie Verwirkungsfristen gehemmt.
Der außergerichtliche Einigungsversuch ist in Eil-, Grundrechts-, Familien-, Arbeits-, Straf- oder Konkursverfahren keine Klagevoraussetzung.
Eine Partei, die sich einem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren verweigert oder auf ein Vergleichsangebot nicht reagiert, erhält in einem folgenden Klageverfahren trotz Obsiegens keine Kostenentscheidung zu ihren Gunsten. Im Falle der Teilstattgabe einer folgenden Klage, kann die Partei, die sich nicht an einem außergerichtlichen Einigungsversuch beteiligt hat, zu den (vollen) Kosten des Verfahrens verurteilt werden. Erkennt eine das außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren ignorierende Partei später die Klageforderung an, wird sie in jedem Fall zu den Kosten verurteilt. Eine in einem Klageverfahren zu den Kosten verurteilte Partei kann deren Reduzierung oder Befreiung beantragen, wenn sie nachweist, dass das Urteil inhaltlich wesentlich einem von der Klägerin nicht angenommenen außergerichtlichen Vergleichsvorschlag entspricht.
Änderungen im Zivilverfahren
Die Neuregelung findet auf nach dem 3. April 2025 begonnene („incoado“) Verfahren Anwendung oder auf mündliche Verfahren, in denen die mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat.
Die Verfahrensart der mündlichen Verhandlung („juicio verbal“) -bis Streitwert 15.000,- €- wird weitestgehend verschriftlicht. Beweisanträge werden schriftlich innerhalb von 5 Tagen nach Zustellung der Klageerwiderung gestellt und können innerhalb von 3 Tagen angefochten werden. Innerhalb der 5-Tagesfrist kann auch schriftlich zu eventuell formulierten Prozesseinreden Stellung genommen werden. Das Gericht entscheidet per Beschluss über Beweisanträge, Prozesseinreden und nach eigenem Ermessen über die Anberaumung eines mündlichen Verhandlungstermins. Im Falle, dass es einen mündlichen Verhandlungstermin nicht für notwendig erachtet, spricht es direkt sein Urteil. Im Falle, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, erlässt das Gericht im direkten Anschluss das Urteil mit nachfolgender schriftlicher Abfassung. Wenn die Parteien im Termin bekunden, das Urteil nicht anfechten zu wollen, erwächst es in Rechtskraft. Anderenfalls können die Parteien innerhalb einer Frist von 5 Tagen nach dem Verhandlungstermin Berufung ankündigen, die innerhalb einer weiteren Frist von 20 Tagen ab Zustellung der schriftlichen Urteilsfassung zu begründen ist.
Schlussfolgerungen
Ob die Verbesserung der Effizienz und Geschwindigkeit des spanischen Justizsystems mit den nun verabschiedeten prozessualen Änderungen erreicht wird, ist fraglich.
Zwar erscheint der Ansatz einer Förderung der außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten theoretisch geeignet, jedoch werden in der Praxis in der Regel von den anwaltlichen Vertretungen bereits die außergerichtlichen Einigungsversuche erschöpft. Die jetzt eingeführten obligatorischen Streitbeilegungsmechanismen werden voraussichtlich zu einer Verlängerung der Forderungsbeitreibung führen, da sie von Schuldnern zur Zahlungsverzögerung genutzt werden und eine einheitliche prozessuale positive Bewertung der Bemühungen eine außergerichtliche Einigung zu erreichen, durch das hierfür zuständige Gerichtspersonal (Rechtspfleger, Richter) nicht gewährleistet ist.