Der spanische „Tribunal Supremo“ (Oberster Zivilgerichtshof) wendet zum ersten Mal die „clausula rebus sic stantibus“ auf einen Gewerbemietvertrag an

Veröffentlicht am 31.12.2014

Der spanische „Tribunal Supremo“, im folgenden TS, hat durch Urteil vom 15.10.2014 unter dem Aktenzeichen 591/2014 entschieden, dass die im Rahmen eines spanischen Gewerbemietvertrages vereinbarte Miete bei einer groben Veränderung der wesentlichen wirtschaftlichen Umstände gemäß dem Rechtsinstitut „clausula rebus sic stantibus“ (ähnlich: Wegfall der Geschäftsgrundlage) auf diese veränderten Umstände angepasst werden kann.

Stefan Meyer Abogado & Rechtsanwalt +34 91 319 96 86

Das Rechtsinstitut der „clausula rebus sic stantibus“ wurde von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelt und erlaubt die Abänderung von Verträgen, wenn sich entscheidende Umstände, die die Geschäftsgrundlage des Vertrages bilden, radikal verändert haben, diese Veränderung im Moment des Vertragsschlusses für die Vertragsparteien nicht vorhersehbar war und zu einer enormen Störung der Gleichwertigkeit im vertraglichen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung führt.

In dem gegenständlichen Fall klagte eine Hotelkette, die im Jahre 1999 einen Mietvertrag mit der Beklagten über zwei Hotelimmobilien in Valencia abgeschlossen hatte. Die Klägerin verlangte eine Kürzung der 1999 vereinbarten Miethöhe, da der Hotelsektor durch die Wirtschaftskrise in Spanien stark getroffen worden sei und die Hotels zu der seinerzeit vereinbarten Miethöhe nicht profitabel zu führen seien.

Nachdem die vorgeschalteten Instanzgerichte die Klage zunächst abgewiesen hatten, gab der TS der Klage unter Anwendung der clausula rebus sic stantibus statt. Die Jahresmiete wurde gerichtlich um 29 %, rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Klageeinreichung gekürzt, wobei sich das Gericht bezüglich der Höhe der Mietpreissenkung auf ein von der Klägerin in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten über die Entwicklung der Mietpreise für vergleichbare Hotelimmobilien in der Region Valencia gegenüber dem Jahre 1999 bezog. Die Beklagte wurde ferner dazu verurteilt, den über diesen gekürzten Betrag und Zeitraum zu viel gezahlten Mietzins ab dem Zeitpunkt der Klageeinreichung zurückzuzahlen.

Das auch in Spanien bekannte Rechtsinstitut clausula rebus sic stantibus wird von den Gerichten grds. nur ausnahmsweise und sehr restriktiv angewendet. Der TS erkennt in dem aktuellen Urteil die spanische Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre als ein Ereignis an, das grundsätzlich eine schwere Störung bzw. radikale Veränderung der Geschäftsgrundlage im Sinne der clausula rebus sic stantibus darstellen kann. Die wirtschaftlichen Umstände zur Zeit der Schließung und Ingangsetzung des Mietvertrages in 1999-2004, einer Periode außergewöhnlichen Wachstums, sei Geschäftsgrundlage des Vertrages gewesen und habe letztendlich auch zum Abschluss dieses langfristigen Mietvertrages geführt. Die Tatsache, dass es sich bei der Klägerin um ein erfahrenes und führendes Unternehmen der Hotelbranche handele, rechtfertige auch nicht die Annahme, dass das Eintreten einer Wirtschaftskrise derartigen Ausmaßes für die Klägerin vorhersehbar gewesen oder allein deren Risikosphäre zuzuordnen sei.

Auch sieht der TS in dem strikten Festhalten der Beklagten an der 1999 vereinbarten Miethöhe – als weitere Anwendungsvoraussetzung der clausula rebus sic stantibus – eine übermäßige Härte, basierend auf der Störung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung. Diese äußere sich vorliegend in der Tatsache, dass die geänderten Umstände dazu geführt hätten, dass der benachteiligte Vertragsteil nur noch Verluste anhäufe. Die von der Klägerin betriebenen Hotels haben in den Jahren 2005-2009 einen Verlust von rund 3.000.000 € erwirtschaftet, wohingegen die Beklagte in dem gleichen Zeitraum einen Gewinn von 750.000 € erwirtschaftete.

Das Urteil muss auch vor dem Hintergrund der speziellen Situation im Raum Valencia betrachtet werden, wo es infolge der Krise im Hotelsektor zu einem Abfall der Rentabilität pro Hotelzimmer um 42,3 %, zahlreichen Hotelschließungen sowie vielfach zu Nachverhandlungen bei der Höhe der Mietpreise in laufenden Mietverträgen kam. So hatte bspw. die beklagte Vermieterin mit einer anderen Hotelkette einen im Jahr 2000 geschlossenen und im Jahre 2010 ausgelaufenen Mietvertrag unter einer Absenkung der Miete um 50% verlängert.

Ob es sich bei dieser Interpretation der clausula rebus sic stantibus lediglich um eine Einzelfallentscheidung handelt, oder mit weiteren vergleichbaren Entscheidungen zu rechnen ist, bleibt abzuwarten. Grds. müssen konjunkturelle Veränderungen des Marktes von den Parteien eines Gewerbemietvertrages selbst vorhergesehen werden, insbesondere dann wenn es sich bei Vermieter und Mieter um erfahrene Kaufleute handelt.

Es existiert im spanischen Gewerbemietrecht, das den Parteien eine sehr große Vertragsfreiheit einräumt, die gestalterische Möglichkeit, die sich durch das Urteil ergebenden Unsicherheiten bei langjährigen Mietverträgen zu beseitigen. Bei neu abzuschließenden Verträgen sollte daher eine vertragliche Regelung eingefügt werden, die klarstellt, dass einfache Marktveränderungen in Bezug auf Vergleichsmieten keinen Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage darstellen. Im entschiedenen Fall mangelte es bspw. an solch einer Regelung. Daneben wurde der Eindruck erweckt, dass die Miete einseitig durch den Vermieter diktiert worden sei und der Vermieter nicht bereit gewesen sei, über die Miethöhe zu verhandeln, sodass sich der TS veranlasst sah, den vermeintlich „schwächeren“ Mieter zu schützen.

Für bestehende Verträge macht das Urteil wiederum deutlich, dass im Konfliktfalle mit der gegnerischen Partei zu verhandeln ist, um zu einem für beide Seiten vernünftigen und tragbaren Ergebnis zu kommen und die Unwägbarkeiten einer gerichtlichen Entscheidung auszuschließen.