Arbeitsrecht in Spanien: Ist die Abschaffung des Trinkgeldes eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen?

Veröffentlicht am 26.08.2021

Spaniens Oberster Gerichtshof warnt, dass eine einseitige Abschaffung des beliebten Trinkgeldes durch den Arbeitgeber, je nach Lage des Falls, eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen darstellen kann.

So lautet die Einschätzung des spanischen Obersten Gerichtshofs (Tribunal Supremo) in seinem Urteil Nr. 635/2021 vom 17. Juni d. J. Gehen wir jedoch zunächst einen Schritt zurück: Was ist eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen, was macht sie aus? Nach ständiger Rechtsprechung dieses Gerichtshofes liegt eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen dann vor, wenn diese die grundlegenden Aspekte der Arbeitsbeziehung, die vertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen oder sogar den Vertragsgegenstand ändert, umwandelt oder betrifft, und dabei mit einem deutlichen Verzicht oder Schaden für den Arbeitnehmer verbunden ist.

Viele von Ihnen werden sich nun die Frage stellen, wie die Änderung eines so „harmlosen“ Aspektes wie des Trinkgeldes – einer freiwilligen Zuwendung seitens eines arbeitgeberfremden Dritten, die weder die Arbeit des Angestellten vergütet noch Teil von dessen garantierten Lohn ist – eine solche Auswirkung haben kann, dass sie als wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen des betroffenen Arbeitnehmers angesehen wird. In der Tat wären Sie mit dieser Logik nicht auf dem Holzweg.

Trinkgelder sind nicht Teil des Lohns und fallen somit nicht in die Zuständigkeit des Arbeitgebers

Es liegt in der Natur des Trinkgeldes, das dieses nicht zum Lohn gehört und auf eine reine Freigiebigkeit zurückzuführen ist, deren Vorgehen in keinem Zusammenhang mit dem Vermögen des Arbeitgebers steht. Allerdings ist es nicht die Rechtsnatur des Trinkgeldes, die hier in den Blick genommen oder Gegenstand der Debatte sein muss, wie richtigerweise das genannte Urteil erläutert. Vielmehr muss es um die Frage gehen, ob diese unstrittige Arbeitsbedingung einseitig seitens des Arbeitgebers geändert oder aufgehoben werden kann, ohne dass das diesbezügliche Verfahren nach Artikel 41 des Arbeitnehmerstatuts greift und folglich auch beschritten werden muss.

Nach Auffassung des spanischen Obersten Gerichtshofs ist die Möglichkeit zusätzlicher Einkünfte zu den streng genommen seitens des Arbeitgebers gezahlten, wenn diese Möglichkeit im Zeitablauf fortwährend gestattet wurde, ein eindeutiger Vorteil für die Angestellten. Ein Vorteil, der in den Augen des spanischen Obersten Gerichtshof, den Arbeitnehmer moralisch für seine jeweilige Arbeit entlohnt, als Zeichen der Anerkennung und Zufriedenheit der Kundschaft mit dem Arbeitnehmer.

Das Trinkgeld als bereits bestehende Arbeitsbedingung

Es besteht jedoch kein Grund zur Panik. Mit seinem Urteil beabsichtigt der spanische Oberste Gerichtshof weder eine dahingehende Generalisierung noch Verschärfung, dass jede Änderung oder Aufhebung im Zusammenhang mit dem gefürchteten Trinkgeld notwendigerweise eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen darstellt. Auch hat er nicht die Absicht, die Organisations- und Weisungsbefugnis, die allen Arbeitgebern unbestreitbar nach den Artikeln 1.1 und 20.1. des spanischen Arbeitnehmerstatuts – wenngleich mit einigen Einschränkungen – zusteht, zu beschneiden. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Der spanische Oberste Gerichtshof betont, dass diese Arbeitsbedingung bereits seit langer Zeit besteht und gestattet wurde, sodass ihre Aufhebung dem Verfahren des Artikels 41 des Arbeitnehmerstatuts unterworfen werden muss.

Falscher Alarm für Unternehmen also? In gewisser Weise, ja. Denn die Einschätzung einer Änderung als wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen hängt letztendlich vom jeweiligen Einzelfall ab. Aus eben diesem Grund sind Unternehmen angeraten, vor Änderungen oder Aufhebungen ähnlich „unkomplizierter“ Arbeitsbedingungen bewusst die Einzelheiten jedes Falls mit einem Schwerpunkt darauf zu prüfen, ob bestimmte Arbeitsbedingungen bereits „seit Langem“ toleriert oder gewährt werden.